Als „Sior Maschera“ wurde eine maskierte Person im alten Karneval angesprochen, wobei jene meist die klassische „Bauta“ und einen schwarzen Umhang trug. Der Begriff „Maschera“ soll sich vom arabischen „mas chada“ herleiten und eigentlich „Spaßvogel“ bedeuten. Heute nennt man alle kostümierten Karnevalsteilnehmer „Masken“, egal ob in Richtung historische Kostüme, Commedia dell‘Arte oder eben die venedig-typischen Kostüme, die auf das Prächtigste mit Perlen, Glitter, Goldbesatz und edlen Stoffen ausgestattet sind.
In letzter Zeit zunehmend „en vogue“ sind extravagante, stilübergreifende Eigenkreationen, die in punkto Material- und Zeitaufwand keine Obergrenze kennen. Nicht nur, aber besonders im und vor dem Café Florian können diese phantasievollen Schöpfungen hautnah bewundert werden.
Das Gedränge der Schaulustigen und Fotografen vor dem Café ist nichts für Klaustrophobe, das Blitzlichtgewitter ähnelt einem Stroboskop. Die vor den Arkadensäulen der Prokuratien posierenden Kostümierten geniessen den verdienten Beifall, um dann drinnen wieder an ihrem Tisch weiter zu feiern, unbeeindruckt von den Massen, die sich vor den Schaufenstern des ältesten Cafés der Welt drängen.
Die Lust am Verkleiden, das Wechseln der Identität, hier wird es auf die Spitze getrieben. Der Alltag am Bankschalter oder im Büro wird gegen die schönste Bühne der Welt getauscht, dazu ist keine Mühe zu groß, und selbstverständlich folgen im nächsten Jahr wieder neue, womöglich noch prächtigere und phantastischere Kostüme, die den Trägern erneut die Verwandlung in ein anderes Ich ermöglichen.
Federico Fellini kann durchaus als Initiator des „modernen“ Karnevals bezeichnet werden. 1976 entstand sein Film „Casanova“, dessen Gedanken und Bilder von venezianischen Künstlern aufgegriffen wurden. Anlässlich der Biennale 1979 verwandelte sich ganz Venedig in eine Theaterbühne voller Masken, und damit kehrte der Karneval 182 Jahre nach seiner Verbannung ins Private durch Napoleon in die Öffentlichkeit zurück.
In den ersten Jahren feierten die Venezianer ein Volksfest, bunt und fröhlich, spontan organisiert. Auf den Straßen und Plätzen wurde getanzt und musiziert, alte Kostüme kamen wieder ans Tageslicht, vermischten sich mit phantasievollen neuen Kreationen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Tourismusindustrie das Potential des Karnevals erkannte und damit ihr „Winterloch“ füllte.
Waren es Anfang der 80er noch ein paar tausend Besucher, wälzen sich heute über 100.000 Touristen pro Tag durch die Gassen der Stadt, währenddessen die verbliebenen knapp 60.000 Stadtbewohner zunehmend dem Karneval entfliehen. Konnten Maskierte in den ersten Jahren fast überall promenieren, sogar im Dogenpalast, dominieren nun rund um den Markusplatz die Absperrgitter. Vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklung ist der kostenpflichtige Innenbereich vor der Bühne am Markusplatz, der aber nur wenig Zuspruch findet. Auch bei den dort statt findenden „Défilés“ mit Wahl der besten Kostümierung nehmen bei weitem nicht alle Masken teil. Zwar immer noch genug, um für den „eiligen Gast“ einen Überblick zu bieten, jedoch gibt es bei weitem ruhigere Orte, die zum Flanieren und Fotografieren einladen, z.B. auf San Giorgio oder bei der Kirche San Zaccaria.
Und auch vor dem Dogenpalast gibt es solche Gelegenheiten, allerdings nur für jene, die auf ihren Morgenschlaf verzichten. Dann aber winkt als Belohnung der Blick auf Masken und Palast im goldenen Licht des Sonnenaufganges.
Von der Piazza San Marco vertrieben wurden die vielen „Trucco-Maler“, diese zaubern nun bei den Bootsanlegern auf der Riva degli Schiavoni gegen ein kleines Entgelt ihre Kunstwerke auf die Gesichter der Schminkwilligen.
Auch Straßenartisten und -musiker werden zunehmend rar, einzig die Aufführungen von Stücken der Commedia dell‘Arte auf der Bühne vor dem Dogenpalast bleiben von der früheren künstlerischen Vielfalt außerhalb des offiziellen Programms.
Wer am letzten Karnevalswochenende anreist, findet in den Menschenmassen auf San Marco immer weniger Maskierte, während vor 40 Jahren die Kostümierten überwogen. Dafür gab es zu jener Zeit nur wenige verstaubte Maskenläden, heute stolpert man an jeder Ecke darüber, sogar im Sommer überwiegen Karnevalsprodukte die früher flächendeckend angebotenen Muranoglas-Souvenirs.
Zuletzt wurde der offizielle Karneval um eine Woche auf 18 Tage verlängert – bis jetzt allerdings ohne vermehrtes Publikumsecho, sogar der schönste Karneval der Welt hat eben seine Grenzen.
Was aber bleibt, ist die einzigartige Atmosphäre: Das Zusammenspiel von Lebensfreude und Fröhlichkeit, Traum und Realität, Sehnsucht und Phantasie, eingebettet in eine der schönsten Kulissen der Welt. Dies zu spüren und zu sehen, kann sehr beglückend sein und das wird auch der Grund sein, warum so viele Besucher des Karnevals Jahr für Jahr der Anziehungskraft dieses Schauspiels erliegen.