Skip to main navigation Skip to main content Skip to page footer

Das Arsenal - der erste Industriekomplex der Welt

„Gleich wie man in Venedigs Arsenal
Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
Womit das lecke Schiff, das manches Mal
Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,
Kalfatert wird – da stopft nun der in der Eil
Mit Werg die Löcher aus dem Seitenbogen,
Der klopft am Vorder-, der am Hinterteil,
Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil.“

So berichtete Dante um 1320 in seiner Göttlichen Komödie vom ersten Industriekomplex der Welt, der die Fließbandtechnik von Henry Ford um fast 600 Jahre vorwegnahm.

Im Jahr 1104 befahl die Serenissima den Bau einer Werft am sumpfigen Stadtrand, um eine starken Flotte für den Kampf gegen die rivalisierenden Stadtstaaten Genua und Pisa zu schaffen. Der Name „Arsenal“ leitet sich wahrscheinlich vom arabischen „Dar al-Sinaa“ = Haus der Arbeit ab. 

Keine 100 Jahre später bestand die schnell wachsende Werft eine gigantische Herausforderung: Binnen eines Jahres mussten über 50 Galeeren für den Transport von 30.000 Teilnehmern des 4. Kreuzzuges gebaut werden, samt Stauraum für Waffen, Gepäck und Pferde. Die venezianischen Schiffsbauer schafften das Unmögliche und legten so den Grundstein für den mächtigsten Werftkomplex der Welt – und nebenbei auch noch für die venezianische Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer. 

Weil das Kreuzfahrerheer kein Geld zur Bezahlung der Flotte besass, musste es den „Fuhrlohn“ militärisch abarbeiten. Zuerst wurde Venedigs Hauptrivalin in der Adria, die Stadt Zara in Dalmatien, erobert, dann 1204 die damalige Metropole Konstantinopel von den Kreuzfahrern und Venezianern unter dem Dogen Dandolo belagert und geplündert. Der Beuteanteil betrug unvorstellbare 200.000 Silbermark und, noch wichtiger, Venedig sicherte sich wichtige Ländereien und Stützpunkte des besiegten oströmischen Reiches und damit für mehr als 300 Jahre die Seeherrschaft.

Das Arsenal war das Herz der Serenissima. Ca. 3000 sogenannte Arsenalotti arbeiteten hier ständig als Zimmerleute, Kalfaterer, Seiler, Schmiede, Bronzegießer, Segelmacherinnen u.v.m. Der Stadtsenat sicherte sich deren Loyalität mit vielen Privilegien. Im Castello-Viertel entstanden Sozialwohnungen, die Werftmitarbeiter waren unkündbar und genossen sogar eine Art von Pension - wer alt oder krank war, erhielt seinen Lohn weiter, wenn er nur am Morgen im Arsenal erschien. Es gab geregelte Arbeitszeiten und Pausen, in denen mit Wasser vermischter Wein gereicht wurde.

Das Erfolgsgeheimnis des Arsenals war die strikte Arbeitsteilung, präzise Fertigung und das Know-How, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Neben dem Neubau von Kriegs- und Handelsschiffen wurden vor allem Reparaturen und Wartungsarbeiten vorgenommen.  Die damaligen Galeeren hatten eine Lebensdauer von maximal zehn Jahren und mussten jährlich mehrmals im Trockendock gewartet und die Rümpfe mit Teer abgedichtet werden.  Das größte Gebäude, die Seilerei, war 316m lang.

Die Rohmaterialien für den Schiffbau stellte der Senat großzügig bei, dem Holzverbrauch fielen unzählige Wälder in der Terra Ferma und Istrien zum Opfer, speziell Eichen waren Staatseigentum und für den Schiffsbau reserviert, widerrechtliches Fällen wurde streng bestraft.

Die Stadt selbst bedurfte keiner Mauern, aber die 42 Hektar des Arsenals waren von einer 14 m hohen Umwallung geschützt, kein Haus in der näheren Umgebung durfte höher sein. 1460 liess der Senat ein prunkvolles Portaltor errichten, den ersten Renaissancebau Venedigs, geschmückt mit im Seekrieg erbeuteten Steinlöwen.

In Friedenszeiten belief sich die Zahl der Kriegsgaleeren auf ca. 50, jedoch lagen noch mehr „Schiffsrohlinge“ im Trockendock, die im Krisenfall aktiviert wurden.  Die Produktivität der Staatswerft war legendär und beeindruckte viele Staatsgäste, wie z.B. König Heinrich III. von Frankreich. Anlässlich seines Besuchs zimmerten die Arsenalotti innerhalb eines Tages aus vorgefertigten Bauteilen eine komplette einsatzbereite Galeere.

Diese Fähigkeit zur seriellen Massenproduktion war nach der Kriegserklärung des türkischen Sultans 1570 überlebenswichtig. Binnen 50 Tagen wurden 100 Galeeren kampfbereit gemacht, täglich zwei Rohbauten zu Wasser gebracht, von Ruderbooten durch das Arsenal gezogen, während aus den Werkstätten und Lagerhäusern die Ausrüstung an Bord gereicht wurde, Ankerzeug, Takelage, Proviant, aus den Waffenkammern Arkebusen, Harnische und die Bugkanone. Abschliessend folgten die Ruderriemen, je 10m lang und 60kg schwer, dann war die Galeere einsatzbereit. In solchen Krisenzeiten arbeiteten bis zu 16.000 Menschen in den Werkstätten.

Im 17. Jahrhundert ging der Stern des Arsenals unter. Niederländische und englische Schiffsbaumeister konstruierten die besseren Schiffe, auch war der Tiefgang des Arsenals mit 7,5m zu seicht für moderne Großschiffe. 1728 wurde noch einmal ein Bucintoro gebaut, es war die kostbarste Prunkgaleere für den Dogen, die die Staatswerft je gebaut hat. Seit dem Jahr 1253 fuhr der Doge mit dem Bucintoro zu Christi Himmelfahrt auf das offene Meer zur „Sposalizio del mare“. Mit dem Wurf eines Goldrings ins Wasser wurde das Bündnis der Serenisssima mit dem Meer erneuert. 1798 war auch damit Schluß. Die französischen Eroberer unter Napoleon demontierten die goldenen Verzierungen des Prunkschiffes, die Reste wurden zu Brennholz – das Arsenal versank im Schatten der Geschichte.

Heute ist das Arsenal zwar noch militärisches Sperrgebiet, aber strategisch bedeutungslos. Zumindest wurde die historische Werftanlage 1987 ins Weltkulturerbe aufgenommen, seit 1999 werden einige Gebäude für die Kunst-Biennale genützt.

Guerra dei Pugni

Die Arsenalotti oder Castellani genannten Werftarbeiter standen in starkem Gegensatz zur restlichen Bevölkerung Venedigs. Sie sahen sich als Elite, sprachen ihren eigenen Dialekt, heirateten selten über ihr Stadtviertel Castello hinaus und unterschieden sich auch äußerlich, z.B. durch das Tragen eines langen Haarzopfes. Sie galten als grob und eigensinnig. Wegen ihrer Privilegien wurden sie beneidet, dies führte schon um 1400 zu gewalttätigen Konflikten, deren berühmtester der Brückenkampf zwischen den Castellanis und den Nicolottis, Fischern aus dem benachbarten Stadtteil Cannaregio, war.

Anfänglich bekämpfte man sich auf der Ponte dei Pugni mit spitzen Stöcken, bis 1585 der Stadtsenat einschritt und angesichts der vielen Verletzten und sogar Toten nur mehr den Kampf  mit den Fäusten erlaubte. Dieser verlief aber nicht weniger brutal, und wurde vielleicht gerade deshalb zum Volksfest. Unzählige Zuschauer feuerten die Kämpfer ihres Stadtteils an, hohe Wetten abgeschlossen, einzelne Streiter wie Gladiatoren verehrt.

Über tausend Faustkämpfer nahmen mehrmals jährlich an den Kämpfen teil und versuchten, den Gegner im dichten Gedränge von der Brücke in den schmutzigen Kanal zu werfen.

Als um 1750 zunehmend Messer verwendet wurden, verbot der Stadtsenat die Kämpfe. Heute erinnern noch zeitgenössische Gemälde daran, auf der Ponte dei Pugni sieht man noch die vier Marmorfußabdrücke, von denen aus der Kampf gestartet wurde.

7. Oktober 1571 - Venedig hält den Atem an

An diesem sonnigen und windstillen Sonntag findet in der Bucht von Lepanto die größte Galeerenschlacht aller Zeiten statt. Auf der einen Seite die Heilige Liga, geschmiedet von Papst Pius V., über 200 Schiffe mit knapp 70.000 Spaniern, Venezianern und Verbündeten des Kirchenstaates. Gegenüber 80.000 Türken auf mehr als 300 Schiffen, angeführt von Ali Pascha, der ein Jahr zuvor das venezianische Zypern eroberte. Diese türkische Flotte bedroht mit ihrem Eindringen in die südliche Adria Venedigs Lebensadern, den Handel und die Verbindung mit den verbliebenen Handelsstützpunkten im Mittelmeer.

Die Heilige Liga ist zerstritten, nach einem Zwist setzt der erst 24-jährige Flottenkommandant Juan d‘Austria, ein Halbbruder König Philips II., den kampferfahrenen venezianischen Admiral Sebastiano Venier ab, diesem folgt der zurückhaltende Agostino Barbarigo. 

Die über 500 Schiffe liegen sich in der engen Bucht in zwei Schlachtreihen gegenüber, Rüstungen und Waffen glitzern in der Sonne. In den Schiffsbäuchen warten fast 100.000 Ruderer, zumeist angekettete Galeerensklaven, auf das Zeichen zum Angriff. Um 10 Uhr beginnt die Seeschlacht, die lange auf der Kippe steht. Die Türken sind zahlenmäßig überlegen, aber die Venezianer haben in ihrem Zentrum sechs neugebaute Galeassen, die in Feuerkraft und Größe allen anderen Galeeren überlegen sind und breite Breschen in die türkische Linie schlagen. Als der venezianische Kommandant Barbarigo durch einen Pfeilschuss tödlich verletzt wird, wankt die Christenarmada. Die Türken greifen das Flagschiff von Juan d‘Austria an, viele Schiffe rammen einander, verkeilen sich, mitten am Meer entsteht ein Schlachtfeld, auf dem sich ein wahres Gemetzel abspielt. In höchster Not greift Sebastiano Venier mit seinen Schiffen vom Flügel aus ein und kann die türkischen Schiffe zurückdrängen. Als Ali Pascha von einer Arkebusenkugel in den Kopf getroffen wird, erlahmt der Widerstand der Türkenflotte, deren Reste fliehen. Nach fünf Stunden erbittertem Kampf hat die Heilige Liga triumphal gewonnen, 128 türkische Schiffe erbeutet, 30.000 Feinde getötet. Die eigenen Verluste betragen 8.000 Mann, in der Mehrzahl Venezianer.

Als die Nachricht vom Sieg Venedig erreicht, jubelt die ganze Stadt. Aber es bleibt ein kurzer Sieg. Die spanischen Verbündeten ziehen sich zurück, ihr Hauptinteresse gilt dem Handel mit den amerikanischen Kolonien. Und der türkische Sultan stampft binnen kurzem eine neue Flotte aus dem Boden. Schon 1573 muss Venedig einen Friedensvertrag mit den Osmanen unterzeichnen, um seine Handelsbeziehungen im östlichen Mittelmeer zu retten. Trotz des Sieges von Lepanto verpflichtet sich Venedig zur Freilassung aller Kriegsgefangenen, muss einen jährlichen Tribut an Konstantinopel zahlen und Zypern endgültig den Türken abtreten. Der türkische Großwesir triumphiert und lässt Venedig ausrichten: „Der Sultan hat euch mit der Eroberung Zyperns einen Arm abgehackt, ihr aber habt ihm in Lepanto nur den Bart versengt - und dieser wächst nach!“