…beim Kaufmann von Venedig
Die Geschichte des jüdischen Ghettos in Venedig
Jüdische Händler besuchten seit der Stadtgründung im 9. Jhdt. immer wieder Venedig, es dauerte jedoch bis ca. 1350, als die Stadt angesichts der Bedrohung durch Pestseuchen und des kostspieligen Krieges gegen Genua nicht mehr länger auf die Wirtschaftskraft jüdischer Pfandleiher und Krämer verzichten konnte und diesen ein dauerhaftes Wohnrecht einräumte. In der Folge entstanden kleinere jüdische Kolonien, oft ummauert. Ihren Bewohnern waren nur wenige Berufe erlaubt, sie mussten ihre Kleidung kennzeichnen, eigener Grundbesitz war verboten. Aber immerhin wurden sie von der Stadtregierung geduldet und durften sogar bewaffnete Wachen anstellen, wobei es den Stadtoberen weniger um die Sicherheit der Juden ging, sondern vielmehr um den Schutz der ihnen von Christen anvertrauten Geldmittel. Seit 1215 war allen Christen durch das kanonische Zinsverbot des Papstes verboten, Kredite gegen Zinsen zu vergeben. Diese Marktlücke bot den Juden eine der wenigen Erwerbsquellen neben Handel und Trödelgeschäften.
Der zunehmende Einfluss der Dominikaner und Franziskaner, die Juden in der reichsten Stadt der Christenheit nur ungern sahen, gefährdete im 15. Jhdt. diese Koexistenz. Pragmatisch wie immer löste der Doge das Problem, indem er bei Kardinal Bessarion ein (sicher reichlich bezahltes) Gutachten beauftragte, ob der tägliche Umgang mit Juden den Christen schaden würde. 1463 dekretierte der Kardinal, das christliche Seelenheil wäre dadurch nicht gefährdet und so konnten die guten Geschäfte ohne Gefahr aus Rom weiterlaufen – ganz im Sinne der venezianischen Devise „Primo Veneziani, poi Christiani“ (Zuerst sind wir Venezianer, und dann Christen).
Um 1500 floh ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung Spaniens und Portugals vor der blutigen Inquisition, nicht wenige nach Venedig. Gleichzeitig führte die Serenissima einen erbitterten Krieg gegen die Liga von Cambrai, viele Juden flüchteten sich vom verwüsteten Festland in die sichere Lagunenstadt. Die beengten Wohnverhältnisse führten bald zu Konflikten und die Volksmeinung forderte die Ausweisung sämtlicher Juden. Daraufhin beschloss der regierende Rat der Zehn im Jahre 1516, alle Juden in das Areal der Neuen Giesserei im Stadtteil Cannaregio umzusiedeln, dem „Gheto novo“. Diese Mischung von Internierung und Schutz vor Bedrohung war in damaliger Zeit übrigens durchaus üblich – man denke an die Zunftviertel in vielen Städten, die abgeschlossenen Handelshöfe der fremden Kaufleute in Venedig, auch in muslimischen Ländern waren christliche Viertel strikt abgetrennt und nachts verschlossen.
Trotz aller Restriktionen florierte das neue jüdische Ghetto, der bald wieder steigenden Raumnot begegnete man mit bis zu sieben Stockwerken hohen Häusern, den sogenannten „Case Campanile“. 1541 wurde das Wohngebiet um das „Ghetto vecchio“ erweitert, 1633 kam das „Ghetto Nuovissimo“ dazu. Um diese Zeit zählte die jüdische Bevölkerung Venedigs über 5000 Köpfe. In dieser Blütezeit entstanden fünf prächtige Synagogen, die heute noch besichtigt werden können. Je nach Abkunft besuchten deutsche Juden die „Scola Grande Tedesca“, die Aschkenasen die „Scola Canton“ oder die Spanischstämmigen die „Scola Spagnola“, die größte Synagoge, 1635 in barockem Stil erbaut, mit wunderschönen Stukkaturen, Holzvertäfelungen und Marmorwänden. Letztere sind allerdings „nur gemalt“, da Juden die Verwendung von echtem Marmor strikt untersagt war. Bedeutende Gelehrte gingen aus der jüdischen Gemeinschaft hervor, z.B. der Rabbiner Leone da Modena (1571 bis 1648). Die jüdische Ärzteschaft genoss einen exzellenten Ruf, sie war als einzige vom nächtlichen Ausgangsverbot ausgenommen, um jederzeit ihre christliche Klientel behandeln zu können.
Die jüdische Gemeinde genoss in ihrer sogenannten „Università“ einen hohen Grad von Autonomie. Der „Parnassim“ genannte gewählte Gemeindevorstand vertrat das Ghetto gegenüber der Signoria und war für die Einhebung der Abgaben an die Republik verantwortlich. Deren Höhe schwankte jährlich, je nach den Finanzbedürfnissen der Serenissima, jedoch waren diese zur Zeit der Türkenkriege im 16. und 17. Jhdt. meist schwindelerregend hoch.
Dies führte dann im 18. Jhdt. zu einer Verarmung des Ghettos, das Leben dort wurde auch wegen zunehmender schikanöser Verordnungen immer unerträglicher. Wer es sich leisten konnte, wanderte aus, die Bausubstanz verfiel – ein Niedergang, der letztendlich ganz Venedig betraf, das in den letzten Jahrzehnten seiner Selbständigkeit nur mehr vom Glanz vergangener Zeiten lebte.
Shakespeare in Venice
In seinem 1600 erschienenen Werk beschreibt Shakespeare die Geschichte des jüdischen Geldverleihers Shylock, der sich als Darlehenspfand von seinem Gläubiger ein Pfund von dessem Fleisch ausbedingt. Der riskante Fernhandel wurde damals oft über jüdische Kredite vorfinanziert, was immer wieder zu Streitigkeiten führte.
Bei allem Antisemitismus in diesem Stück (wie es zur Entstehungszeit gang und gäbe war) lässt Shakespeare Shylock in dessen Verteidigungsrede vor Gericht doch auch die Ungerechtigkeiten schildern, denen Juden im venezianischen Ghetto ausgesetzt waren.
Dies führte dann im 18. Jhdt. zu einer Verarmung des Ghettos, das Leben dort wurde auch wegen zunehmender schikanöser Verordnungen immer unerträglicher. Wer es sich leisten konnte, wanderte aus, die Bausubstanz verfiel – ein Niedergang, der letztendlich ganz Venedig betraf, das in den letzten Jahrzehnten seiner Selbständigkeit nur mehr vom Glanz vergangener Zeiten lebte.
1797 wurden nach der Eroberung Venedigs durch Napoleon die Tore des Ghetto verbrannt, die Mauern verschwanden, der wirtschaftliche Niedergang jedoch ging weiter, ganze Häuserzeilen brachen zusammen. Der Tiefpunkt wurde 1943 erreicht: Die 200 verbliebenen Juden im Ghetto wurden von den deutschen Besetzern deportiert und größtenteils ermordet.
2010 zählte die jüdische Gemeinde Venedigs wieder rund 500 Mitglieder, verstreut über die ganze Stadt, aber auch das Ghetto hat sich wieder mit Leben gefüllt. Wer sich abseits der touristischen Trampelpfade Venedigs ein wenig Zeit nimmt, wird den Besuch des Ghettos mit seinem Museum, den Synagogen, Hebraica-Läden und koscherem Restaurant sicher nicht bereuen.
Die Doppelte Buchhaltung
wurde um 1490 in Venedig eingeführt. Der Mathematiker Luca Pacioli beschrieb in seinem Buch erstmals genau diese neuartige Buchführung. Über den Handelshof der Fugger in Venedig gelangte diese Methode rasch nach Augsburg, wo sie maßgeblich zum Aufstieg Jakob Fuggers zum reichsten und mächtigsten Handelsherrn der damaligen Welt beitrug.
Die Erfindung des Bankrott
wird dem Venedig des 15. Jhdt. zugerechnet. Wenn Geldwechsler oder Bankiers zahlungsunfähig wurden, zerbrach man als äußeres Zeichen deren Arbeits- bzw. Zahltisch (= Banca rotta). Anschließend folgten Schuldhaft oder Vertreibung, oft auch Ehrsanktionen wie Pranger oder die Verpflichtung, sich in der Stadt nur mit offen heraushängenden Taschen und unbekleidetem rechten Fuß zu zeigen. So gesehen sind die Verursacher der letzten Wirtschaftskrisen recht billig davongekommen…