Exportschlager Theriak Venezian
Venedigs Macht und Reichtum ergaben sich vor allem aus seinen Handelsmonopolen im Mittelmeerraum. Glasindustrie, Bankwesen, Schiffsbau und Tuchveredelung trugen das Ihre zum Wohlstand bei.
Eine sehr florierende Zunft ist jedoch fast in Vergessenheit geraten – die Apotheker. Venedigs „Speziere di Medicina“ waren weltberühmt und ließen sich ihre Produkte in Gold aufwiegen, ihr größter Exportschlager war die Himmelsarznei – Theriaca Coelestis.
Theriak ist heute in Vergessenheit geraten, war jedoch über zwei Jahrtausende das Mittel der Wahl, vergleichbar mit dem heutigen Aspirin. Egal, ob Pest, Vergiftung, Kopfschmerz oder Wundbrand – Theriak versprach Linderung und Heilung.
Theriak wurde in ganz Europa zubereitet, aber die venezianischen Erzeugnisse hatten den weitaus besten Ruf und wurden weltweit exportiert. Dies beruhte auf zwei Faktoren: Erstens besaß Venedig faktisch das Handelsmonopol Richtung Orient, und von dort kam ein nicht unerheblicher Teil der exotischen Arzneizutaten. Venedigs Apotheker verfügten somit über die besten Heilstoffe und günstige Direktimportpreise.
Zweitens führte die Lagunenstadt eine strenge Qualitätskontrolle ein. Der hohe Preise von Theriak verführte nicht wenige Nachahmer, billig zusammengepanschte Ware illegal auf den Markt zu bringen. Um die hohe Qualität (und auch den hohen Preis) zu schützen, wurde in Venedig die Zubereitung von Theriak penibel geregelt. Nur 40 Apotheken durften einmal im Jahr Theriak zubereiten, die Ingredienzien wurden von der Gesundheitsbehörde genau kontrolliert.
Alle Zutaten mussten drei Tage der Öffentlichkeit präsentiert werden, wobei die Käfige der frisch gefangenen Vipern das meiste Interesse erregten. Anschließend wurde der Theriak unter ärztlicher Aufsicht und großem Volksspektakel vor der jeweiligen Apotheke in schweren Bronzemörsern zubereitet. Deren Abdrücke im Steinboden sind heute noch sichtbar.
Fälschungsversuche wurden drastisch bestraft, es drohte der Entzug der lukrativen Konzession oder sogar Haft in den Bleikammern des Dogenpalastes.
Ursprung im alten Griechenland
Ein erstes Theriak-Rezept findet sich auf der Insel Kos, eingemeisselt in einem Asklepiaion, es sollte gegen Schlangenbisse helfen und beinhaltet Fenchel, Kümmel und Anis. Der Arzt Nikandros von Kolophon erwähnte diese Arznei erstmals im Jahre 170 v. Chr.
Große Bekanntheit und Verbreitung erhielt Theriak im 1. Jh. v. Chr. unter König Mithridates von Pontos. Dieser fürchtete nichts mehr als seine Vergiftung (möglicherweise auch deshalb, weil er seinen Vorgänger vergiftet hatte) und ließ seinen Leibarzt ein Antidot entwickeln. Dieser erweiterte das Theriakrezept auf 74 Ingredienzien, darunter auch das Fleisch von giftigen Vipern. Angeblich testete Mithridates das neue Medikament an zum Tode Verurteilten. Diese mussten sich von Giftschlangen beißen lassen, überlebten aber dank des Theriaktrunkes.
Berühmtheit in der antiken Welt erlangte Theriak unter den römischen Kaisern. Der Leibarzt Neros, Andromachus, mischte der Rezeptur u.a. Opium bei, dieses sogenannte „Theriaca Andromachi“ mit 64 Zutaten war die Basis aller folgenden Rezepte und wurde z.B. um 800 n. Chr. im Lorscher Arzneibuch detailliert beschrieben.
Nicht nur Nero, auch der Kaiser Marc Aurel und andere hohe Würdenträger nahmen Theriak aus Angst vor Giftanschlägen vorbeugend ein.
Endgültig populär wurde Theriak während der verheerenden Pestepedemien im 14. Jh. Mangelndes medizinisches Wissen und fehlende Alternativen ließen das Wundermittel als einzige Hoffnung erscheinen, die Nachfrage nach Theriak nahm beständig zu.
Venedigs Apothekerzunft
Das Gewerbe der Arzneimittelhersteller galt als edle Kunst. Die von der Apothekerbruderschaft (Scuola di Spezerie) festgelegten und streng geprüften Anforderungen umfassten nicht nur detaillierte Kenntnisse aller Heilmittel und deren Zubereitung, sondern auch das Beherrschen der lateinischen Sprache und einen untadeligen Lebenslauf.
Apotheker genossen hohes Ansehen und Einkommen, Mitgliedern ihrer Zunft war es erlaubt, durch Heirat in den Adelsstand aufzusteigen. Um 1500 boomte das Apothekerwesen so, dass sich der Senat genötigt fühlte, einen Mindestabstand von 100 venezianischen Schritten (ca. 35 m) zwischen den jeweiligen Standorten vorzuschreiben.
Wirksamkeit von Theriak
Theriak füllte man als dunkle, zähe Tinktur in große Gefäße ab, die dann sorgfältig versiegelt wurden. Ob das Gebräu wirklich zur Gesundung beigetragen hat, ist umstritten. Am ehesten dürfte das Opium zur Schmerzlinderung beigetragen haben, aber dessen Anteil war meist gering. Die diversen Kräuter hatten sicher heilende Wirkung, jedoch aufgrund der Vielzahl der Komponenten nur in geringem Ausmaß. Und die zerriebenen Vipern oder Mumien trieben nur den Preis nach oben. Deswegen war Theriak auch als Medizin der Könige (oder Reichen) bekannt, für weniger Begüterte wurde der sogenannte Theriak Minor mit reduzierten Inhaltsstoffen (Lorbeer, Enzianwurzel, Myrrhe, Wacholder und Honig) hergestellt. Die ganz Armen mussten sich mit Knoblauch begnügen, dem sogenannten „Bauerntheriak“.
Das Ende der Himmelsarznei
Bis weit ins 19. Jh. wurde Theriak nach verschiedensten Rezepten mit bis zu 300 Zutaten erzeugt und verschrieben, erst dann besiegelten zunehmendes medizinisches Wissen und Drogengesetze seinen Untergang. Das letzte veröffentlichte Rezept mit Opium findet sich in Meyers Konversationslexikon von 1897. Heute noch erhältlich ist der Schwedenbitter, dessen Rezeptur einige Theriak-Zutaten enthält.
Die mit * gekennzeichneten Fotos wurden mit freundlicher Genehmigung
im Apothekenmuseum Winkler in Innsbruck aufgenommen.