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Menschen hinter Masken

Hannelore – Wien: 

MENSCHENAUGEN

Als maske wandle ich durch gassen, über brücken, über plätze wie paläste

meine Augen strahlen, schier zerspringen möcht ich vor lebensglück

menschenaugen – erwachsne menschenaugen – glänzen freudig,

kinderaugen gleich, beim blick auf mich, ziehen kann ich sie in meinen bann

unzählbare menschenaugen spiegeln wider meine augen

freudenglanz / übermut / lebenslust und glück

Verkleidet von haarspitz bis zum zeh, nur menschenaugen zeigend wandle ich

eingehüllt / umwolkt von farben und fantasie

menschenaugen geben antwort auf stummes lächeln / strahlen / flirten / necken / melancholie

große – wie geheimnisvolle sterne – augen geben die maskierung frei.

 

Helga – Lichtenwörth/NÖ

SEELENVERWANDSCHAFT

Vor zehn Jahren fuhr ich, angeregt durch zwei Freundinnen, das erste Mal zum Karneval nach Venedig (er war damals noch viel stiller). Kleider und Masken hatten die beiden genug mit und so erlebte ich erstmals das unbeschreibliche Gefühl, hinter einer Maske in einem wunderschönen Kostüm zu stehen. Es waren schlichte, aber wirksame Kleider und alle hatten irgendwie eine Verwandschaft zu der Stadt und auch zu mir. Seit sechs Jahren entwerfe und nähe ich selber und hoffe, daß es mir gelingt, eins zu werden mit Venedig. Vielleicht ist es anmaßend, das zu behaupten, aber nur ein kleines Stückchen von dieser einmaligen Stadt zu sein, reicht immer wieder, uns alle in Hochstimmung zu versetzen. Was ich dort gebe, kommt tausendfach zurück.

 

Karin – Heidelberg (D)

KOSTÜMZAUBER

Im „normalen“ Leben habe ich eine Boutique für Damenmode in Heidelberg. Seit sechs Jahren komme ich nach Venedig zum Karneval. Jedes Jahr mit einem neuen Kostüm, für das ich ein Jahr benötige, bis die Idee gewachsen, Material gefunden und es in die Tat umgesetzt wurde. Venedig ist für mich eine Märchenstadt in einer anderen Welt wie aus 1001 Nacht. Eine Traumbühne zur Darstellung dieses besonderen einzigartigen Karnevals. Hier kann ich mit meinen Kostümen meine Vorstellung von Schönheit, Anmut, Eleganz und Weichheit zum Ausdruck bringen. 

Hinter dieser Verkleidung, die ja im eigentlichen Sinne keine ist, sondern der Ausdruck meiner Persönlichkeit, geht mir beim Tanz vor dem Publikum und beim Spiel mit anderen Masken das Gefühl für Raum und Zeit verloren. Ich bin einfach erfüllt mit Freude, Glück und Stolz und freue mich auf jeden neuen Tag im Carnevale di Venezia.

 

Christa – Zillingdorf/NÖ

DIE WICHTIGSTE NEBENSACHE

Neugierig geworden durch begeisterte Erzählungen und wunderschöne Fotos eines Freundes erlebte ich 1988 erstmals den Carnevale di Venezia live. Nur unterbrochen durch ein Jahr Babypause habe ich seither keinen Carnevale versäumt. Mittlerweile besteht unsere Gruppe aus bis zu sieben Personen und auch unsere Aufenthalte werden immer länger.

Es ist immer wieder faszinierend, die herrlichen und fantastischen Kostüme zu bewundern. Das Schönste ist jedoch, so viele Freunde aus aller Welt – andere Masken und Fotografen – zu treffen, den Alltag für einige Zeit zu vergessen und nur an die „wichtigste Nebensache der Welt“ zu denken. Die Ankunft in Venedig selbst ist für mich der Eintritt ins Land der Träume, der Fantasie und Schönheit. 

Die Maske ist keine Verkleidung, sie ist ein anderes Ich. Durch die Maske ist es möglich, für einige Tage im Jahr ein begehrter und vielbewunderter Star zu sein, umringt und umworben von Amateur- und Profifotografen aus aller Welt. Die während des Jahres einlangenden Fotos und Briefe bieten immer die Möglichkeit, für kurze Zeit abzuschalten und ins Land der Träume zu entfliehen.

 

Daniel – Villiers le Bel (F)

ZAUBER UND GEHEIMNIS

Ich möchte keinerlei persönliche Informationen weitergeben, weil ich denke, daß einerseits das Geheimnisvolle und der Zauber des Karnevals geschützt werden muß und ich andererseits nichts davon halte, meine „zivile“ Identität einer breiten Öffentlichkeit preiszugeben. Ich möchte mir meine Anonymität bewahren, um den nächsten Karneval möglichst ungestört genießen zu können.

 

Sara – Pavia (I)

BELLEZZA

Ich bin 21 Jahre und studiere zeitgenössische Kunstgeschichte an der Universität Pavia. Meine Kostüme für den Karneval entwerfe ich jedes Jahr selbst, unterstützt von der Fantasie meiner Freundin Marta, die Mode in Mailand studiert, und der Kreativität meiner Großmutter, die die Bemalung realisiert. Ich kenne Venedig schon lange, aber seinen Zauber spürte ich erst, als ich begann, aktiv an seinem Karneval teilzunehmen.

Hinter meiner Maske steckt eine Künstlerin, die einen kleinen Beitrag zur unbeschreiblichen Schönheit des Carnevale di Venezia leisten möchte – in offener Weise, ohne Maske. Für einige Tage kann ich Teil eines Kunstwerkes sein.

 

Arnaldo – Padova (I)

MASKENZAUBERER

Meine oft eintönige Arbeit in einer Bank verschafft mir die Mittel für meine Steckenpferde: Russische Schachteln, Spazierstöcke aus Silber, venezianische Masken aus Pappmaché und vor allem die Anfertigung von Kostümen für den Karneval. 

Es ist schwierig, die Gefühle hinter meiner Maske zu beschreiben. Herrlich, inmitten der Menge betrachtet, bewundert, fotografiert zu werden, Komplimente zu bekommen. Herrlich, die staunenden Blicke auf mein Kostüm und meine Maske zu spüren. Meine Person löst sich auf, ist weder Mann noch Frau, nur mehr Maske, die Frucht meiner Fantasie. Ich schwebe über allem und jedem. Sorgen und Probleme des Alltags sind weit weg von mir. Ich bin bewunderter Hauptdarsteller auf der schönsten Bühne der Welt. Es ist ein grandioses Gefühl, und groß sind auch die Gefühle, die ich in meinen Zuschauern wecke. Und das an einem Ort, der allein für sich schon für Emotionen bürgt. Der ganze Tag ist wie ein schöner Traum, der Abend zauberhaft beleuchtet, der Nebel fantastisch unwirklich. Als Maske fühle ich mich als Teil der Stadt. Die Atmosphäre Venedigs ist einzigartig und hier ist der einzig mögliche Ort, wo ich meine Fantasie ausleben kann.

„Die Maske des Karnevals ist das Gesicht unseres Unterbewußtseins.“

Und wirklich, mein Unterbewußtsein gewinnt durch die Maske an Gestalt, meine Fantasie wird durch die Kostüme, die Farben, das Licht angeregt. Durch die Fotografie werden solche surrealen, zauberhaften Momente manchmal für die Zukunft eingefroren.

 

Edgar (Fotograf) – Innsbruck

Das Eintauchen

Es ist das Fehlen der Autos, was mir am meisten auffällt. Vom Parkhaus am Tronchetto noch eilig zum Schiff, einen Platz im Gedränge sichern, aber dann ist die Überfahrt zur Piazza San Marco wie ein langsames Eintauchen in eine andere Welt – Venezia. Der Geruch des Meeres, die ersten Masken, die Zeit wird langsamer … durch den Canale Grande mit seinen Spalier stehenden Palazzi, fast kitschig, aber jedes Jahr wieder beeindruckend schön. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne tauchen die Stadt in jenes warme, goldene Licht, das ich bis jetzt nur in Venedig gefunden habe …

Unter Freunden

Der Markusplatz, das “schönste Vorzimmer Europas”, Einfallspforte für unzählige Touristen, Laufsteg der Masken . . . Venedig lebt vom Tourismus, seit Jahrhunderten schon, es hat darin eine Meisterschaft entwickelt, seine Kunden nicht als Könige, sondern als Bittsteller zu empfangen, und die Gäste akzeptieren das gerne. Venezianer sind verschlossen, fast abweisend, auch gegen die eigenen Landsleute von der Terra Ferma, dem Festland. Es braucht lange, das Eis zu brechen, aber dann geht die Freundschaft tief. Und so freue ich mich nicht nur auf ein Wiedersehen mit den Masken und Fotografen aus der ganzen Welt, sondern auch auf meine Wirtsleute in der Trattoria Tre Spiedi, die Barkeeper des Caffè Florian und alle anderen venezianischen Freunde. 

Quo Vadis – Venezia

Totgesagt, dem Untergang geweiht . . . die Prognosen klingen nicht gut. Aber, auch wenn die Mauern bröckeln, Venedig als Ganzes hat hat genug Substanz, seinen Zauber ins nächste Jahrtausend zu tragen und allen Besuchern etwas davon mitzugeben.


Post Scriptum:

Diese Texte entstanden zur Jahrtausendwende, nach 16 Jahren Teilnahme am Carnevale di Venezia. Nun, ein Vierteljahrhundert später, ist die Trattoria Tre Spiedi in indischer Hand, das Caffè Florian für Fotografen fast unzugänglich. Auch sonst schmilzt der öffentliche Zugang zu schönen Plätzen wie Schnee an der Sonne. Fotosessions im Dogenpalast oder an den Marmorsäulen der Markusbasilika sind passé, überall Absperrungen und Gitter. Jedoch, wer sich ein bisschen Mühe gibt, der findet genügend Alternativen: Versteckte Palasthöfe, pittoreske Gassen, einsame Kanäle und ein reichhaltiges Angebot an Gaststätten und Bacaris abseits der überlaufenen Touristenrouten.

Und so ist die Vorfreude wie immer riesengroß, auf meinen 41. Besuch des Carnevale di Venezia 2025!