Bàcari di Venezia
„Andar per ombre“ - die Schattenseite Venedigs . . .
Wer der vielen Sonnenseiten Venedigs – Markusplatz, Dogenpalast und Museen – überdrüssig ist, dem sei ein Besuch eines Bàcaros empfohlen. Es gibt kaum eine Gelegenheit, tiefer in die venezianische Lebensart einzutauchen, darüber hinaus locken leckere Cichetti und ein oder mehrere Gläschen „ombra“ (= Schatten). Diese Bezeichnung rührt wahrscheinlich von den fliegenden Weinhändlern früherer Jahre her, die dem Schatten des Campanile am Markusplatz folgten, um den Wein kühl zu halten.
Ein Ombra misst 10 cl, stammt meist aus der Terra ferma oder dem Friaul und bleibt nicht gern allein. „Trinket immer gegen den Durst, und niemals wird er euch erfassen“ – an dieser Empfehlung des Philosophen Pantagruel haben die Bácari-Besucher wenig auszusetzen. Nebenbei findet man hier – in komprimierter Form – die besten venezianischen Gerichte, die Cichetti. So gut die herrlich weichen, tunfischgefüllten Tramezzini sind, man sollte auch Bacalà (Trockenfisch), Polpette (faschierte Fleischbällchen), überbackene Zucchini, eingelegte Artischocken und Meeresfrüchte genießen und sich nicht scheuen, Spinza (Milz) oder Trippa rissa (Salzkutteln) zu verkosten. Die appetitanregenden Happen werden mit dem Zahnstocher im Stehen gegessen, wer sich im Bàcari Sitzkomfort erwartet, sucht vergebens. Viel wichtiger ist den Venezianern der „ciacole“ – das „Ratschen“ über Gott und die Welt, welches die Lokale zu einer Art Nachrichtenbörse macht. Soziale Unterschiede werden unsichtbar, wenn der Dottore und der Müllmann anhand des „Gazzetto dello Sport“ über die neuesten Fußballresultate diskutieren – das Bàcaro als Ort der Geselligkeit.
Bàcaris findet man über ganz Venedig verstreut, die meisten nahe Rialto. Die Weinschenken liegen oft versteckt in Seitengassen, in alten Gewölben, Zeugen vergangener Jahrhunderte, original eingerichtet – Ballonflaschen, alte Fässer, Kupferkessel. Viele Besitzer führen ihre Läden in zweiter oder dritter Generation, weniger als Beruf, vielmehr aus Berufung und stellen oft eine Art soziale Anlaufstelle für die Nachbarschaft dar.
Ein schönes Beispiel dafür ist die Cantina del Vini Già Schiavi im Dorsoduro, nahe der Accademia. Die Zeit, in der diese auch „Cantinone“ (Weingewölbe) genannte Schenke ein Geheimtipp war, ist längst vorbei. Nicht nur zur Karnevalszeit braucht man einiges an Geduld, um sich durch die dichten Reihen zur Theke durchzukämpfen, das muntere lukullische Treiben erstreckt sich über die praktischerweise direkt vor dem Eingang liegende Brücke bis auf den gegenüberliegenden Kirchhof von San Trovaso.
Seit 1949 von der Familie Gastaldi geführt, hat es sich zu einem Treffpunkt seines Viertels entwickelt, in dem nicht nur Alt und Jung zusammenkommen, sondern zur Not auch der Briefträger einmal die Anwohnerpost hinterlegt. Während Gia Schiavi den Durst der Gäste löscht, sorgt Mutter Alessandra pausenlos für Nachschub an Schinken, Räucherfisch, Krebshäppchen und Schmorfleisch. Und wer sich in den hinteren Raum verirrt, sieht sich einer gediegenen Weinauswahl gegenüber, die den Vergleich mit vielen Enotecas nicht zu scheuen braucht. Diese Mischung von köstlichen Cichetti und Weinspezialitäten ist wahrlich einen Umweg wert.
Giro di Bàcari
. . . eine äusserst genussvolle Art, Venedig zu entdecken!
Wer hierbei an eine Radtour denkt, muss enttäuscht werden. Die vielen Brücken und engen Gässchen würden ein solches Vorhaben kaum gelingen lassen. Vielmehr handelt es sich beim Giro di Bàcari um einen alten venezianischen Brauch, der einen tiefen Einblick in die traditionelle Gastronomie Venedigs vermittelt.
Am frühen Abend trifft sich ein Gruppe Gleichgesinnter (in der Karnevalszeit natürlich maskiert) zum Beispiel vor dem Caffé Florian am Markusplatz. An den Anführer und Säckelwart wird ein angemessener Beitrag abgeführt und dann zieht die ganze Gesellschaft, musikalisch begleitet von einem Ziehharmonikaspieler, Richtung Rialto. Dort angekommen sucht man der Reihe nach die alten Bàcaris auf. Meist wurde schon vorbestellt und vor den Weinschenken ist ein kleiner improvisierter Imbissstand aufgebaut, an dem die jeweiligen Spezialitäten (Bruschetto, Crostini, Gemüsehäppchen, Frutti di Mare . . .) kredenzt werden. Nach den ersten Ombre steigt die Stimmung, der Ciacole blüht auf, ein oder zwei Lieder werden zum Besten gegeben und die teilnehmenden Damen nicht selten zum Tanz gebeten. Aber es dauert nicht lange, bis der Säckelwart die Rechnung begleicht und die ganze Schar in Reih und Glied weiter zum nächsten Bàcaro zieht, wo sich das ganze Spiel wiederholt - soweit die Leber trägt.
Die Zahl der besuchten Weinschenken ist nicht selten zweistellig, und erst gegen Ende der Tour beginnen sich langsam die Reihen zu lichten. Beim letzten Bàcaro verabschieden sich die Übriggebliebenen und ziehen heimwärts. Für Nicht-Ortsansässige mitunter ein kleines Problem, denn der Endpunkt des Giro di Bàcari ist meist zufällig gewählt und es ist schon nüchtern schwierig genug, in den dunklen Calle Venedigs seinen Weg zu finden . . .