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Markenmanagement im Mittelalter

Von San Todaro zum Markuslöwen

Die alte venezianische Redensart “Fra Marco e Todaro” ist doppelbödig. Einerseits bedeutet sie, das Schicksal herauszufordern, weil es Unglück bringen soll, zwischen den beiden Säulen durchzugehen. Dies traf zumindest für die Opfer der venezianischen Blutgerichtsbarkeit in der Vergangenheit zu, denn hier befand sich Venedigs Richtstätte. Andererseits drücken Venezianer mit diesem Spruch Unentschlossenheit oder Wankelmütigkeit aus.

Die Entscheidung der Serenissima für San Marco jedoch war eindeutig. Bis ins 9. Jahrhundert war noch der Heilige Theodor Schutzpatron der aufstrebenden Inselstadt. Theodor – ein römischer Soldat, der zum Christentum konvertierte – starb um 300 als Märtyrer und wurde bald zu einem der bedeutendsten Heiligen des byzantinischen Reiches. Als sich Venedig allmählich aus der Vorherrschaft von Byzanz löste und als Handelsmacht zu immer mehr Reichtum und Einfluß kam, suchte es nach einem neuen Symbol des wachsenden Selbstbewusstseins.

Da fügte es sich gut, dass zwei venezianische Händler 828 in Alexandria durch Kauf oder Raub – diese Begriffe trennten die Venezianer damals nicht so genau – in den Besitz der Gebeine des Evangelisten Markus gelangten. Die Reliquien wurden unter Schweinefleisch versteckt und so aus dem muslimischen Ägypten geschmuggelt.

Aber was hatte der Heilige Markus mit der zu seinen Lebzeiten noch gar nicht existierenden Lagunenstadt zu tun? Diesen Zusammenhang musste nun eine Legende erklären: Angeblich kam der Evangelist auf einer seiner vielen Missionsreisen bis nach Aquileia. Dort erschien ihm ein Engel und begrü.te ihn mit den Worten: “Pax tibi, Marce, evangelista meus”. Diese Worte sind auch auf dem aufgeschlagenen Buch zu lesen, welches der geflügelte heilige Löwe, das Wappentier Markus und Venedigs, in seinen Pranken hält. Weiters prophezeite der Engel, dass an der Stätte ihrer Begegnung einmal eine mächtige Stadt entstehen würde – eine Voraussage, die sich auch später erfüllte.

Die Gebeine Markus wurden in einer neuerrichteten Kirche vis-à-vis des Dogenpalastes bestattet, als Symbol der Verbindung von Staat und Kirche, wobei den Venezianern ersteres meist wichtiger war, wie der Spruch “Primo siamo Veneziani, poi cristiani” beweist.

Mit dem Evangelisten Markus als mächtigem Stadtheiligen und Patron konnte Venedig nun seinen einzigartigen Erfolgslauf fortsetzen. Im Jahre 1204 eroberten und plünderten die Venezianer unter dem Dogen Dandolo mit Hilfe eines Kreuzfahrerheeres Konstantinopel und triumphierten so über ihre frühere Schutzmacht. Wer in der Basilica San Marco die Schatzkammer besichtigt, erhält einen Eindruck, welche immensen Kostbarkeiten damals den Weg in die Lagunenstadt gefunden haben. Erst die wachsende Bedrohung durch die Türken im 16. Jahrhundert sowie die Entdeckung der Neuen Welt, welche die Handelsströme vom Mittelmeer weglenkte, leiteten den langsamen Niedergang der Serenissima ein, die dann 1797 durch Napoleon endgültig ihre Selbständigkeit verlor.

Venedig war im Mittelalter nicht nur Hauptumschlagplatz für Gewürze und ähnliche Kostbarkeiten, sondern auch Zentrum des Reliquienhandels, welcher Dimensionen erreichte, die heute nur mehr schwer nachvollziehbar sind. Verständlich am ehesten aus der Unwissenheit der damaligen Bevölkerung, die sich schutzlos Seuchen, Kriegen und anderen Katastrophen ausgesetzt sah und dem durch den Besitz von Reliquien entgegenzuwirken versuchte. Splitter vom Kreuz Christi, Stoffreste diverser Märtyrer, Besitztümer von Heiligen und vor allem deren Gebeine wurden rege und zu horrenden Preisen gehandelt. Je prominenter der Heilige, desto besser fühlte sich der Besitzer der Reliquie beschützt. Von weniger bekannten Heiligen war oft ein Mehrfaches der normalerweise verbliebenen Knochen im Handel, in Venedig werden beispielsweise zwei Schädel des Hl. Christophorus aufbewahrt.

Auch die Geschichte der Überreste des Heiligen Markus verlief in einigen Wirrungen. Als im 10. Jahrhundert nach einem Brand in der Markuskirche die Reliquien nichtmehr gefunden werden konnten, wähnte sich die Republik schon ihres starken Schutzes beraubt, bis plötzlich nach einiger Zeit während eines Gottesdienstes in der neuerbauten Kirche eine Mauer einstürzte und wunderbarerweise die Knochen wieder freigab. 1094 wurde dann die Markusbasilika in ihrer heutigen Form als griechisches Kreuz mit fünf Kuppeln fertiggestellt, und 1835 wurden die wiedergefundenen Überreste des Heiligen Markus endgültig unter dem Hauptaltar bestattet. 1968 wurde ein Teil der Reliquien als Geste des guten Willen dem Patriarchen von Alexandria zurückgegeben.

Nicht nur auf vielen Plätzen der Lagunenstadt, auch in allen Ländern, die im Laufe der venezianischen Expansion erobert wurden, findet sich heute noch der Markuslöwe als Zeichen der Herrschaft. Als weltweit bekanntes Symbol auf Münzen, Gemälden und Fahnen oder als Relief auf allen venezianischen Festungen und Amtsgebäuden kann der geflügelte Löwe als eine der ersten globalen Marken bezeichnet werden.