Die Lust an der Verwandlung
Was bewegt Menschen dazu, eine Maske aufzusetzen?
Von Tiermasken frühzeitlicher Jagdvölker über altgriechische Theatermasken bis zum anonymen Chatter im Cyberspace spannt sich ein weiter Bogen unterschiedlicher Handhabungen, jedoch eines blieb immer im Mittelpunkt: Das Bedürfnis, sich mit Hilfe von Masken in etwas anderes zu verwandeln, sich Wunschträume zu erfüllen, die sonst unerreichbar wären. Masken befreien von vielfältigen Bindungen, sie lösen von Alltagzwängen und auch von den uns selbst angelegten Fesseln.
Maskenträger können andere Aspekte ihrer Persönlichkeit in den Vordergrund stellen, ja, ihre ganze Identität wechseln. Gerade der venezianische Karneval bietet in diesem Zusammenhang eine breite Palette von Verwandlungsmöglichkeiten. Aus Alt wird Jung, der Mann zur Frau, das Mauerblümchen entwickelt sich zum vielbewunderten Mittelpunkt der Piazza. Und auch wenn die Maskenzeit ein unwiderrufliches Ende hat, der Glockenschlag der Marangona Dienstag Mitternacht das Fallen aller Masken befiehlt, ist die Trauer über das Ende des Karnevals bei weitem geringer als die Vorfreude auf den nächsten Auftritt auf der schönsten Bühne der Welt, dem Markusplatz in Venedig. Arrivederci in anno prossimo . . .
Monde und Jahre vergehen und sind auf immer vergangen, aber ein schöner Moment leuchtet das Leben hindurch.
Franz Grillparzer
Das Caffè Florian
Das Caffè Florian wurde 1720 unter dem Namen ”Venezia Trionfante” eröffnet. Der Gründer, Florian Franceschoni, dachte wohl kaum daran, dass sein Name im 21. Jahrhundert ein Synonym für Kaffeehauskultur sein würde.
1638 wurde erstmals in Venedig Kaffee zum Verkauf angeboten, allerdings nur in Apotheken, da er als Medizin galt. Das änderte sich bald, 1683 eröffnete der erste Kaffeeausschank und löste einen veritablen Boom aus – im 18. Jhdt. musste der Senat die Anzahl der Kaffeehäuser in Venedig zahlenmäßig beschränken. Das Getränk war ein Luxusgut, nur für Reiche leistbar, mit Preisen, die sich in der Höhe bewegten, wie sie im heutigen Caffè Florian üblich sind.
Wohnzimmer, Bühne, Künstleratelier, Fotostudio, Fixpunkt japanischer Gruppenreisen, Aufwärmraum für leichtbekleidete Masken, Treffpunkt der venezianischen Society und vieles mehr - kein Wunder dass es hier manchmal beängstigend eng wird und die Kellner beim Servieren artistisches Geschick an den Tag legen müssen.
Trotz aller Hektik dauert es jedoch nie lange, bis der Besucher vom Zauber dieses Ortes eingefangen wird. Man versinkt förmlich in vergangenen Jahrhunderten und wäre kein bisschen erstaunt, beim Bummeln durch die verschwenderisch dekorierten Salons Casanova oder Goldoni zu begegnen.
Im Caffè Florian hat sich seit seit der Entstehung dieses Artikels 2005 so gut wie nichts geändert, mit einer Ausnahme: Die Eigentümerschaft ging vor einigen Jahren auf den Modekonzern Fendi über. Und dieser hat den Betrieb professionalisiert und auf Effizienz getrimmt. War es früher noch möglich, einfach einen schnellen Prosecco an der Bar zu trinken, ist der Einlass nun streng kontrolliert. In der abgetrennten Wartezone vor dem Caffè stauen sich die Interessenten, um dann endlich ein kleines Vermögen für eine Tasse “Cioccolato”, ein Törtchen oder einen Prosecco abzugeben. Man sitzt ja immerhin im selben Raum, den schon Goethe, Proust, Wagner und Byron besuchten . . .