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Ad Oriente – Il mirabolante viaggio di Marco Polo

so lautete das vielversprechende Motto für den venezianischen Karneval von 2024. Jedoch, abgesehen von einer Ausstellung im Dogenpalast, dem Design der Bühne am Markusplatz und einigen kleineren Veranstaltungen, gab es kaum Berührungspunkte zu Venedigs berühmtestem Sohn. Auch wiesen nur die wenigsten Masken einen Bezug zu Marco Polo oder seinen Reisen auf. 

Venedigs Verhältnis zu dem Entdeckungsreisenden war immer schon schwierig. Zwar trägt der Flughafen seinen Namen, aber in der Stadt ist er kaum vorhanden – keine Büste, kein Denkmal, nichts. Marco Polo war den Venezianern von Anfang an suspekt, zu unglaublich schienen seine Reiseaufzeichnungen in „Il Milione“ zu sein. 

Der Buchtitel wurde auch als Spottname verwendet wegen der Millionenschätze, die er im Fernen Osten gesehen haben wollte. Diese Skepsis über den Wahrheitsgehalt ist nur zu verständlich, bedenkt man, dass im 13. Jhdt. nur die wenigsten Menschen den Umkreis ihrer Siedlung verließen und Informationen über ferne Länder und Kulturen kaum vorhanden waren.

Das Mongolenreich erstreckte sich über 10.000 km von Korea bis zu den Steppen Ungarns. Zusammengehalten wurde das Riesenreich durch ein extrem effizientes Kommunikationswesen – das Örtöö. An den Hauptstraßen lagen im Abstand von einer Tagesreise Versorgungsposten, die permanent den Schutz und die Versorgung von Reisenden mit Nahrung, Unterkunft und Pferden sicherstellten. Anspruchsberechtigt waren nur Personen, die eine sogenannte Paiza vorweisen konnten. Diese Tafeln wurden vom Kaiserhof vergeben, je nach Wichtigkeit in Holz, Silber oder Gold. Missbrauch wurde strengstens bestraft. Berittene Boten legten bis zu 300 km am Tag zurück und brachten so die Befehle Kublai Khans binnen Wochen in die entlegensten Winkel seines Imperiums.

Marco Polo wurde 1254 in Venedig geboren. Als er sechs Jahre alt war, brachen sein Vater Niccolò und Onkel Maffeo zu einer Handelsreise in den Osten auf, die sie auf vielen Um- und Irrwegen bis an den Hof Kublai Khans in Peking führte. Kublai suchte Kontakt mit dem Abendland und sandte die Polos, geschützt durch eine goldene Paiza, mit einer Botschaft an den Papst zurück. 1269 trafen sie in Venedig ein und erfuhren, dass Papst Clemens IV. ein Jahr zuvor gestorben war. Erst 1271 wurde Gregor X. zum Nachfolger gewählt und beauftragte die Polos offiziell, zum Großkhan zurückzukehren und ihn als Bündnispartner gegen die Mohammedaner zu gewinnen. 

Marco Polo durfte als Siebzehnjähriger an dieser Reise teilnehmen, die insgesamt 24 Jahre dauern sollte.  Die Route führte sie durch das von den Mongolen besetzte Persien bis nach Hormuz, jedoch war der Seeweg nach China zu unsicher, sodass die Polos mit erheblichen Umwegen zurück zur Seidenstraße reisten und über diese quer durch Asien an den Hof Kublai-Khans, wo sie 1275 ankamen. Kublai, ein Enkel Dschingis-Khans, hatte gerade China erobert und beherrschte eines der größten Reiche der Weltgeschichte. 

Marco Polo gewann schnell das Vertrauen des damals schon über 60-jährigen Herrschers. Als dessen Berater und Präfekt konnte er 16 Jahre ganz China bereisen, kam bis nach Indochina und Tibet. Über 150 Städte und Landschaften beschrieb er später in „Il Milione“. Die östliche Zivilisation war der des Westens weit überlegen, Marco berichtete von zahlreichen prächtigen und reichen Städten, fruchtbarer Landwirtschaft, fortschrittlicher Technik und Verwaltung, beschreibt den Buchdruck und das chinesische Papiergeld.

Nicht alles, was er sah, konnte er richtig deuten, aber seine Schilderungen waren lebendig, er beschrieb detailgetreu das Wesentliche und zeigte Verständnis für alles Menschliche. Ungewöhnlich war, dass in seinen Berichten das Überlegenheitsdenken und der Hochmut der Europäer fehlten, wie sie in anderen damaligen Reiseberichten üblich waren

Kublai wollte die Polos lange Zeit nicht zurückreisen lassen, erst 1291 ergab sich eine Gelegenheit, als die drei Venezianer eine chinesische Prinzessin an den persischen Hof bringen sollten. Eine große Flotte stach von Quanzhou in See und erreichte über Sumatra und Ceylon nach beschwerlicher zweijähriger Fahrt die persische Hafenstadt Hormuz. 

Nochmals zwei Jahre dauerte die Heimreise über Trapezunt am Schwarzen Meer, bis 1295 endlich Venedig erreicht wurde. Der Legende nach soll nach 24-jähriger Abwesenheit niemand die Polos erkannt haben, erst als sie aus den Säumen ihrer abgetragenen Kleidung unzählige wertvolle Juwelen schnitten wurde ihnen Glauben geschenkt.

Marco Polos Abenteuerlust war ungestillt, 1298 zog er als Kommandeur einer venezianischen Galeere in eine Seeschlacht gegen die Genuesen, wurde gefangengenommen und ein Jahr in Genua eingekerkert. Dort begegnete er dem pisanischen Mitgefangenen Rustichello di Pisa, einem Autor von Ritterromanen. Dieser brachte die Reiseberichte Marco Polos zu Papier und hatte zweifellos auch großen Anteil am gut lesbaren Stil. Das Werk ging unter dem Erstauflagetitel „Das Buch von den Wundern der Welt“, später „Il Milione“,  in die Literaturgeschichte ein. 

1299 freigelassen, ehelichte Marco die Kaufmannstocher Donata Badoer, ihre drei Töchter heirateten in den venezianischen Hochadel ein, der Familienname Polo jedoch erlosch. Erhalten sind das Testament Marco Polos und das Nachlassverzeichnis seiner Tochter Fantina, in denen jeweils eine goldene Paiza-Tafel beschrieben ist. 

Überliefert sind die letzten Worte Marco Polos auf seinem Totenbett, als er gedrängt wurde, um seines Seelenheils willen den angeblichen Lügengeschichten abzuschwören: „Ich habe nicht die Hälfte dessen erzählt, was ich gesehen habe!“

Die Welt im 13. Jahrhundert

Während der Kreuzzüge ab 1095 spielten sich erbitterte Konflikte zwischen Christen und Mohammedanern im Heiligen Land ab. Trotzdem blühte der von den Venezianern dominierte Handel über das Rote Meer nach Indien. Dies änderte sich mit dem Erstarken der ägyptischen Mameluken. 1244 fiel Jerusalem und 1291 wurde die letzte christliche Festung Akkon erobert. Die Warenströme (Gewürze, Edelsteine, Seide, Aromen u.v.m.) verlagerten sich nach Persien bzw. auf die Seidenstraße. Ab ca. 1225 mischten im Ringen der Großmächte die Mongolen mit,  welche anfangs gegen die europäischen Oststaaten und später die islamischen Mächte blutige Kriege führten. Ab der Herrschaft Kublai Khans 1260 war das Mongolenreich die stärkste und stabilste Macht. Kein Wunder, dass der Papst versuchte, über ein Bündnis mit dem Großkhan und vielleicht sogar seine Bekehrung zum Christentum den Einfluss im Heiligen Land zurückzugewinnen. Vergeblich – Kublai war in religiösen Belangen neutral, sein Hauptaugenmerk war die Festigung der Mongolenherrschaft in China, wo er 1271 in Peking die Yuan-Kaiserdynastie begründete.

Dass Entdeckungsreisen kein westliches Monopol waren, zeigt beispielsweise die gut dokumentierte Reise von Rabban Bar Sauma. Der 1220 in Peking geborene nestorianische Christ pilgerte als Mönch und Diplomat 1275 nach Jerusalem und reiste dann 1285 im Auftrag der Mongolen nach Westeuropa, um Bündnisse auszuhandeln. In Paris traf er König Philipp den Schönen und in Bordeaux den englischen König Eduard I., 1286 verhandelte in Rom mit Papst Nikolaus IV. Alles ohne Erfolg, denn mit der Eroberung Akkons 1291 war die Zeit der Kreuzzüge vorbei. Rabban Bar Sauma starb 1294 in Bagdad. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er Marco Polo in Peking begegnet ist.